Bekanntermaßen hatte die Europäische Kommission im Jahr 2018 einen Antrag zweier gemeinnütziger Organisationen - der Public.Resource.Org Inc. und der Right to Know CLG - die sich für die freie Zugänglichkeit von Recht einsetzen, auf Zugang zu mehreren technischen Normen nach der Dokumentenzugangsverordnung (EG) Nr. 1049/2001 abgelehnt. Das daraufhin angerufene Gericht der Europäischen Union bestätigte 2021 zunächst die Rechtsauffassung der Kommission. Nach Einlegung von Rechtsmitteln hob der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am 5. März 2024 das erste Urteil jedoch im sogenannten „Malamud“-Urteil (Rechtssache C-588/21 P) auf und erklärte, dass die Kommission den Zugang zu den harmonisierten Normen hätte gewähren müssen. Der EuGH stellte fest, dass die in Rede stehenden vier harmonisierten Normen zu Spielzeug (EN 71-4, -5 und 12 sowie EN 12472) aufgrund ihrer Rechtswirkungen Teil des Unionsrechts sind und daher ein überwiegendes Interesse an ihrer Offenlegung besteht.
Seit dem Urteil sind bei der Kommission zahlreiche weitere Anträge auf Zugang zu verschiedensten harmonisierten Normen (hEN) eingegangen. Zwischenzeitlich sind von einigen nationalen Normungsorganisationen Portale für den Lesezugriff (u. a. von DIN und ILNAS) auf die nationalen Übernahmen solcher harmonisierten Normen eingerichtet worden. Die dänische Normungsorganisation Danish Standards (DS) und die niederländische Normungsorganisation NBN haben darüber hinaus Listen veröffentlicht, welche Normen einsehbar sind. Da viele harmonisierte Europäische Normen teilweise oder vollständig auf IEC- und ISO-Normen beruhen (z. B. in den Sektoren EMV, Maschinenbau, elektrische Betriebsmittel, Medizinprodukte), sind auch die internationalen Normungsorganisationen von der Zugänglichmachung durch die Kommission betroffen.
Es wurde in Fachkreisen spekuliert, wie ISO und IEC sich hierzu verhalten werden.
Die Antwort lautet: Am 6. Dezember 2024 haben ISO und IEC ein Verfahren gegen die Europäische Kommission vor dem EuGH eingeleitet (Aktenzeichen T-631/24). Aus den einsehbaren Informationen ist unklar, welches Ziel ISO und IEC mit der Klage verfolgen.
Laut einem Bericht haben ISO und IEC hierzu folgende Stellungnahme abgegeben:
„Im Interesse unserer jeweiligen Mitglieder haben IEC und ISO Maßnahmen ergriffen, um internationale Standards vor unbefugter Offenlegung zu schützen.
Gegen die Entscheidung der Europäischen Kommission bezüglich der Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-588/21 wurden rechtliche Schritte eingeleitet, damit wir unsere Aufgaben weltweit effektiv zum Nutzen aller erfüllen können. Diese Maßnahme zielt darauf ab, die Integrität internationaler Standards zu wahren und die Infrastruktur zu schützen, die ihre Entwicklung unterstützt. IEC und ISO sind außerdem bestrebt, die langjährige Zusammenarbeit mit ihren europäischen Normungspartnern zu schützen, und werden weiterhin auf eine Lösung im Zusammenhang mit diesem Fall hinarbeiten.“ (nicht-offizielle Übersetzung)
Fortsetzung folgt.
Hinweis: Für die Normanwender bietet die Firma Globalnorm GmbH eine komfortable Lösung, um diese Informationen in einer Datenbank nachvollziehen zu können. Insbesondere die Vorgänger-/Nachfolgerbeziehungen sowie die Tagesaktualität sind hier die Anwendervorteile.
→ mehr zur Softwarelösung GLOBALnorm erfahren
Autor
Dipl.-Ing. (FH) Michael Loerzer
Regulatory Affairs Specialist
BEGRIFFE UND ABKÜRZUNGEN
Der Ausdruck "harmonisierte Norm" wurde von der Europäischen Kommission in der Normungsverordnung 1025/2012 definiert. Demnach erteilt die Kommission an die zuständigen europäischen Normungsorganisationen (CEN, CENELEC oder ETSI) den Auftrag (Mandat) zur Erarbeitung dieser harmonisierten Normen (Art. 2 Abs. 1 Buchstabe a)).